Räume des Begehrens und Aufbegehrens – Zu zwei Ausstellungen im Schwulen Museum*

„Schmutziger“ Sex in engen Pissoirs und „reine“ Gedanken in der akademischen Welt. Was beides verbindet, das zeigen zwei Ausstellungen im Schwulen Museum* in Berlin …

„Wegen des großen Erfolgs“ hat das Schwule Museum* in Berlin die Ausstellung über Klappen verlängert. Noch bis 19. Februar 2018 kann man die Raum-Installation Fenster zum Klo des französischen Künstlers Marc Martin betreten und sich in der engen Welt einstiger (?) schwuler Sexorte umsehen, sich Schilderungen von Klappengängern anhören und Fotoarbeiten von Marc Martin betrachten. Fürs Shooting schlossen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihm eine einstige Cruising Location, wie das wohl heute heißen würde, wieder auf und spendierten sogar – det is Berlin – drei historische Klappentüren, voll mit hingekritzelten Botschaften über das Verlangen. Der Weg zur Rekonstruktion schwuler Geschichte kommt an der Kooperation mit just jenen Strukturen, die der Klappe systematisch den Garaus machten, nicht vorbei. Oder anders formuliert: Jetzt, wo Berlin so sauber geworden ist, kann man sich problemlos der schmutzigen Geschichte stellen. Der so ganz und auch ein wenig naiv aufs melancholische Retro-Gefühl setzende Rückblick – inszeniert mit sehr attraktiven Männern – evoziert fast automatisch die Frage nach Sexualität heute, ihren sprichwörtlichen Rahmenbedingungen, ihrer Verortung, also die Frage nach dem Raum, innerhalb dessen sich schwules Begehren heutzutage verkörpert. Der Erfolg von Fenster zum Klo mag, neben der Erinnerungssehnsucht älterer Generationen, auch darin begründet sein, dass die heutige queere Generation auf der Suche nach genau solchen Räumen unter den Bedingungen einer die Privatheit grell durchdringenden Öffentlichkeit ist.

Die Ausstellung über Geschichte und Kultur der Klappe korreliert wundersam mit einer zweiten, noch bis 28. Februar 2018 dauernden Ausstellung Faszination Sex: Der Theoretiker & Aktivist Martin Dannecker. Neben dem auf Breitenwirkung setzenden Filmemacher Rosa von Praunheim ist er quasi die intellektuelle Symbolfigur, der soziologisch-psychoanalytische Übervater der Schwulenbewegung zu Beginn der siebziger Jahre. Was die einstige Wucht von Aktivisten wie Dannecker heute fast versickern lässt, ist just jener Anspruch, der aus verdruckst-verfolgten Schwulen selbstbewusste politische Subjekte machen wollte: „Raus aus den Klappen, rein in die Straßen“. Dazu aber musste, das ist wohl die eigentliche überdauernde Leistung von Theoretikern wie Dannecker, der Versuch unternommen werden, dem Homosexuellen selbst überhaupt habhaft zu werden, ihn gleichsam erst zu verfertigen, um ihn – das von Geschichte wie Politik bis dahin weitgehend ignorierte bzw. unterdrückte Wesen – innerhalb von gesellschaftlichen Umbrüchen verorten zu können. Dass diese Verfertigung mit der Pathosformel von der Revolution verknüpft wurde, mag einerseits der Zeit geschuldet sein, andererseits erinnert es daran, was auf dem Weg zur Erfolgsgeschichte Schwulenemanzipation liegengeblieben ist. Interessanterweise die Kapitalismuskritik, aber nicht der schwule Selbsthass, den Dannecker in seiner tragischen Ambivalenz zu ergründen suchte. Damals galt seine zusammen mit Reimut Reiche verfasste Studie Der gewöhnliche Homosexuelle als Bibel der Durchdringung und gedanklich-empirischen Erfassung schwulen Lebens. Ein ähnlicher Ansatz, der das heutige schwule Leben in Deutschland zwischen öffentlich zelebrierter Sattheit, politischer Lethargie und diskursivem Furor in den Blick nimmt, fehlt. Beim Betrachen der diversen Lebensstationen von Martin Dannecker wird man allerdings den Verdacht nicht los, dass sich seit den bewegten Tagen vielleicht auch gar nicht so viel verändert hat.

Es geht in beiden Ausstellungen letztlich um materielle wie gedankliche Räume, um die Geschichte(n) von Begehren und Aufbegehren, die sie ermöglicht haben. Ob sie für immer geschlossen sind oder ob sich andere Räume eröffnet haben, sich finden lassen, diese Fragen müssen ihre Antworten außerhalb des Museums finden. / ©RH

Link: Internetnetseite Schwules Museum*

Fotonachweis / Pressebilder SMU:
1. Begegnung in einem ehemaligen Pariser Pissoir unter Denkmalschutz von 1905 / © Marc Martin
2. Martin Dannecker und seine Bücher. Dragan Simicevic Visual Arts, 2016.