Nach jetzigem Stand der Corona-Infektionszahlen, der enormen Zahl von Toten, dem Desaster bei der Impfstoff-Lieferung, der Unwägbarkeiten hinsichtlich verantwortlichem Handeln der Menschen ebenso wie möglichen Gefahren durch Virus-Mutationen, lässt sich schon jetzt sagen, dass auch die CSD-Saison 2021 nicht sein wird „wie früher“. Auch dieses Jahr werden keine riesigen Truck-Paraden und tausende von jubelnden Teilnehmenden zu wummernden Beats durch die Straßen der großen Städte ziehen. Wenn es so käme, wäre entweder ein kleines Wunder im Kampf gegen das Corona-Virus geschehen oder es wäre aufgrund der Verwüstungen, die die Pandemie hinterlassen hat / hinterlässt, eine obszöne Veranstaltung.
Zugleich würde das Ausbleiben von CSD-Paraden aber negative Effekte wie Isolation, Einsamkeit, schwindende Solidarität verlängern. Zugleich würde die wirtschaftliche Sogwirkung der großen Events den vor dem Aus stehenden Bars, Restaurants, Hotels, Kunst- und Kulturszenen, Beratungsstellen, Magazinen fehlen.
Wie auch immer die CSD-Saison in diesem Jahr aussehen wird, das Motto für die Paraden muss „Wie geht es dir?“ lauten. Die Community (oder, wer Wert darauf legt, Plural: die Communities) muss den Blick auf sich selbst richten. Wie sind „wir“ durch die Pandemie gekommen? Wie ist die*der Einzelne durch die Pandemie gekommen? Was sind, was waren die Folgen und vor allem: Wo müssen dringend Änderungen erfolgen? Eine Priorität muss dabei auf Strukturen liegen, die dafür sorgen, dass Inklusion und Teilhabe keine leeren Floskeln bleiben. Psychische und physische Gesundheit, Prävention, der Aufbau von neuen und der Erhalt von Safe Spaces Räumen, in denen wir so sein können, wie wir sind – ohne Angst, ohne Scham -, muss vorangetrieben werden. Die Community muss zeigen, dass sie mehr ist als ein neoliberaler Verein, der nur den Stärksten, den Schönsten, den Erfolgreichsten huldigt. Zu lange wurde Solidarität als Aufzählung von zu kritisierenden Ismen verstanden. Aber es geht um ein gelebtes Miteinander im Alltag, und das beginnt mit Höflichkeit, Respekt, mit Zuhören und manchmal ganz simpel mit der Frage: „Wie geht es dir?“
Die Community muss sich in diesem Jahr nach ihrem Zustand, ihrem Befinden, ihrer wirtschaftlichen Lage und ihren psychischen/mentalen, ihren spirituellen Ressourcen fragen. Und das schließt auch ein, dass wir in den Communities anderer Länder, mit denen wir uns politisch wie menschlich verbunden fühlen, nachfragen, wie es ihnen in der Pandemie ergangen ist / ergeht. Wo wurden – hierzulande und anderswo – die Beschränkungen gegen unsere Rechte, gegen unser Leben eingesetzt? Wo wurden homosexuelle Singles benachteiligt, wo und wie wurden Trans* und Queers von Hilfe ausgeschlossen? Was kann man tun, um dies zukünftig zu verhindern?
Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie sollten wir erkennen, dass die Frage „Wie geht es dir?“ immens politisch geworden ist und sie zum Motto für den CSD machen. / ©RH