„Es verlangt Willen zur Selbstreflexion!“ Eine Diskussion lenkt den Blick auf Diskriminierungen innerhalb der Szene

Den Blick nach innen wenden und Diskriminierungen innerhalb der Szene beleuchten, das wollte eine Podiumsdiskussion im Wilde Oscar, dem Café des Lebensortes Vielfalt am gestrigen Donnerstag Abend in Berlin. Der Titel lautete  „Diskriminierungsfrei bleiben! Aus- und Abgrenzung innerhalb der queeren Szene.“ Veranstalter waren die Schwulenberatung und das Lokalmagazin „Siegessäule“. Dabei wurde in offener, angenehmer Atmosphäre Facetten eines Themas deutlich, das für gewöhnlich eher ausgespart oder in vorwurfsvollen Medienschlachten verzerrt wird. Eigene Erfahrungen der Teilnehmer und Berichte von Strategien im Umgang mit Diskriminierung prägten den Abend. Im Folgenden sind Überlegungen, Gedanken von Teilnehmerinnen und Teilnehmern herausgegriffen, die mir interessant erschienen.

Zu Beginn verwies Jan Noll, Redakteur der „Siegessäule“, auf die besondere Rolle der queeren Community im Umgang mit dem Thema hin: Nahezu alle LGBT hätten eigene Diskriminierungserfahrungen. „Wir haben die Chance, uns anders zu verhalten.“ Redakteurin Christina Reinthal berichtete von Reaktionen aus der Szene auf die Übernahme der „Siegessäule“ durch Manuela Kay und Gudrun Fertig. „Lesben werden das Blatt an die Wand fahren“, zählte wohl noch zu den harmloseren Kommentaren.

Der Soziologe Rüdiger Lautmann begann sein Impuls-Referat mit dem historisch-soziologischen Hinweis, dass die Szene einst erfunden worden sei, um der Diskriminierung von außen ausweichen zu können. Er traf dann eine Unterscheidung zwischen Diskriminierung und Differenzierung. Während Diskriminierung die „verachtungsvolle Ausschließung von Menschenmerkmalen“ sei, sei Differenzierung „Aufteilung aus einem wichtigen Grund“. Er machte darauf aufmerksam, dass es auch nötig sei, dass bestimmte (Einzel-)Gruppen ihre eigenen Orte hätten – im späteren Verlauf tauchte in den Diskussionsbeiträgen immer wieder das Wort von den notwendigen „Schutzräumen“ auf (etwa für HIV-Positive), die es parallel zu Orten, an denen sich alle begegnen könnten, geben müsse. Lautmann deutete auch an, dass es eine Art vorauseilenden Gehorsam geben könne; man gehe gar nicht erst dorthin, wo man weiß, dass man nicht reinkommt. Hier blitzte vor allem Alter und ethnische Zugehörigkeit als Ausschlussgrund auf. In einem weiteren Beispiel verwies Rüdiger Lautmann auf die emotionale Debatten um Gewalt gegen Homosexuelle durch Menschen mit Migrationshintergrund. Hier offenbare sich oft auch eine Islamfeindlichkeit, aber – so Lautmann – der Islam sei eine durchaus tolerante Religion, die keineswegs per se homophob sei. Doch: „Es gibt Dinge, die kann man lernen!“ Aber es verlange eben auch Arbeit und Mühe, das Andere anzuerkennen.

Einblicke in die (professionelle) Praxis im Umgang mit Diskriminierung innerhalb der Szene gaben Tülin Duman vom Netzwerk Diskriminierungsfreie Szene für alle, die „absolut genderqueere“ (Formulierung „Siegessäule“) Drag Queen Kay P. Rinha und Leo Y. Wild von Stand Up!, dem Antidiskriminierungsprojekt der Berliner Schwulenberatung.
Tülin Duman, von Moderator Albert Eckert befragt, was das Netzwerk leiste, nannte vor allem zwei Bereiche: einerseits die interne Kommunikation von Betreibern von Angeboten für die Szene („Es ging viel um Türpolitik!“), andererseits Aktionen, um die Szene insgesamt auf das Thema Diskriminierung aufmerksam zu machen. Sensibilierung nannte dann auch Leo Y. Wild als einen wichtigen Teil seiner Arbeit: „Es verlangt viel Willen zur Selbstreflexion“. Aus der Praxis berichtete er, dass von ca. 300 Fällen von Diskriminierung etwa 20% Vorfälle innerhalb der Szene seien! Kay P. Rinha sah, wie Tülin Duman, im direkten Gespräch eines der wichtigsten Mittel im Umgang mit Diskriminierung.

Gegen Ende des Abends – auch durch die Schilderungen einer Trans-Frau aus dem Publikum – rückte Transphobie in den Vordergrund. Deutlich wurde, dass Wechsel oder Uneindeutigkeit im Geschlecht häufig als Bedrohung wahrgenommen werden, weil mit dem „Anderssein“ letztlich am eigenen Selbstbild gerüttelt wird.

Mit knapp zwei Stunden war dieser Diskussionsabend letztlich zu kurz, um die vielen einzelnen Facetten von Diskriminierung innerhalb der Szene ausführlicher erörtern zu können. So herrschte auch weitgehend Einigkeit, dass Themen wie Transphobie, Rassismus oder Lookismus (die Ausgrenzung eines anderen aufgrund seines Aussehens) auf der Tagesordnung bleiben müssen und es weiterer Gesprächsrunden bedarf wie dieser am am Vorabend des Internationalen Tages gegen Homophobie. (RH)

2 Kommentare zu „„Es verlangt Willen zur Selbstreflexion!“ Eine Diskussion lenkt den Blick auf Diskriminierungen innerhalb der Szene

  1. „Nahezu alle LGBT hätten eigene Diskriminierungserfahrungen.“

    Nimmt man jetzt noch die Menschen, die HIV+ sind – dazu, gehören auch heterosexuelle Menschen beiderlei Geschlechts -, dann ist es das, was uns alle miteinander verbindet. Die Erfahrungen von Diskriminierung, Ausgrenzung, Ablehnung, Entzug von . . . . Dieses „Gemeinsame ist – kann unserer/eine Basis sein, ein Band, das, wenn man sich einig ist, nach außen wie auch nach innen stark ist. Nach Außen im Auftreten der Gesellschaft gegenüber und nach Innen, wenn die verschiedenen Sichtweisen und Meinungen diese „Gemeinschaft – Community zu spalten droht. Ist das der Fall, dann gibt es lauter kleine Grüppchen, die gegen die Mehrheit der Gesellschaft keine Chance haben.

    „Er machte darauf aufmerksam, dass es auch nötig sei, dass bestimmte (Einzel-)Gruppen ihre eigenen Orte hätten – im späteren Verlauf tauchte in den Diskussionsbeiträgen immer wieder das Wort von den notwendigen “Schutzräumen” auf (etwa für HIV-Positive), die es parallel zu Orten, an denen sich alle begegnen könnten, geben müsse.“

    Da hat Rüdiger Lautmann völlig recht. Innerhalb der Community gibt es Thematiken, die in den von Dir bezeichneten Schutzräumen der einzelnen Gruppen am besten kommuniziert werden. Das ist im übrigen auch das Prinzip, nach denen die Anonymen Gruppen funktionieren. Die gemeinschaftliche Basis (nüchtern-Clean bleiben) von AA, NA z.b. ist die Stärke, auf die sie sich immer besinnen, das Band das alle zusammenhält. Innerhalb jedoch gibt es Frauen, Männer, Angehörigen, Kinder, Schwule, Rockmusiker etc Gruppen mit ihren eigenen Thematiken. Diese bieten, wie er es treffend sagt, Schutz und ein Gefühl der Geborgenheit, was wiederum im Ganzen betrachtet das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinschaft stärkt.

    http://alivenkickn.wordpress.com/2013/05/11/ich-bin-ein-heterosexueller-mann-der-hiv-ist/

  2. Ich denke auch, dass wir uns nicht gegenseitig überfordern sollten. Schon die Gruppe derjenigen Männer, die mit Männern Sex haben, ist so heterogen, dass es wohl nur den Sex als gemeinsamen Nenner gibt.

    Leider haben „wir“ es schon aufgegeben, über Sex und Daseinsweise zu reflektieren und daraus Überlebensstrategien zu entwickeln. Vom Weitergeben an jüngere Männer ganz zu schweigen…

    Mich beschäftigt zur Zeit das Auseinanderklaffen von Transen-„Schicksalen“ und Transen-„Geschäftigkeit“. Beides sind „Daseinsweisen“, die sich aber von Biografien völlig losgelöst haben.

    Oder die kürzlich in Zürich publizierten „Escort-Geschichten“, die in heterosexuellen Medien als „arme missbrauchte, heterosexuell orientierte Männer“, die von Schwulen ausgebeutet würden, reflektiert wurden. Dabei bedienen diese diskret weitestgehend die homosexuellen Bedürfnisse, von armen, heterosexuell lebenden/orientierten Männern. Der Unsinn des heterosexuellen Opfer/Täter-Klischees wird hier einfach über eine – wie auch immer als „wahr“ genommene Bedürfnisgruppe gestülpt.

    Abschliessend stelle ich als Schwulenbewegter fest, dass wir seit einiger Zeit alle Arten von Individuen und Gruppen „aufnehmen“ sollen, die aus der Heterosexualität heraus fallen. Dabei wäre es schon bei den Schwulen die Pflicht der Heterosexuellen gewesen, sich „familiär“ um uns zu kümmern. Gegen diese Hetero-Politik sollten wir uns wehren!

Kommentare sind geschlossen.