10. März 1994: § 175 wird abgeschafft

Heute vor 15 Jahren, am 10. März 1994, beschloss der Bundestag in Bonn „mit großer Mehrheit“, den § 175 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. In der DDR war Homosexualität formal seit dem 12. Januar 1968 straffrei.
Bis dahin waren im Namen dieses Paragrafen Schwule und Lesben kriminalisiert, verfolgt, denunziert, eingesperrt und von weiten Teilen der Bevölkerung gedemütigt worden. Geschaffen wurde das Gesetz im Kaiserreich 1871 und stellte „d
ie widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird“ unter Strafe. Selbst in der „liberalen“ Weimarer Republik, die mit ihren goldenen 20er Jahren auch dem homosexuellen Leben (zumindest in Großstädten wie Berlin) Aufschwung gab, scheiterten Versuche, den § 175 abzuschaffen. Die Nazis verschärften dann das Gesetz. Am 24. Oktober 1934 wurde die Erfassung „sämtlicher Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt haben“ angeordnet. Es war eigens ein Sonderdezernat bei der Gestapo eingerichtet worden. Eine Welle von Razzien und Verhaftungen folgte, die bestehende Struktur homosexuellen Lebens wurde zerstört. Historiker schätzen, dass zwischen 10.000 und 15.000 Homosexuelle in Konzentrationslagern umkamen. Ein Leid, das in der Nachkriegszeit wenig kümmerte. 1951 sah der Bundesgerichtshof „keine Bedenken“ gegen die Weiterexistenz des Paragrafen. Der sei zwar von den Nazis missbraucht worden, gehe aber, quasi rechtmäßig, auf eine frühere Fassung aus der Zeit vor den Nazis zurück. Fortan diente der „175er“ Polizei und Justiz als Vorwand der willkürlichen und menschenverachtenden Verfolgung von Homosexuellen. Das Ausmaß, in dem er angewandt wurde, war völlig unterschiedlich. Seine eigentliche Wirkung entfaltete er als jederzeit verfügbares Mittel. Homosexuelle konnten sich jahrzehntelang nie sicher fühlen. Noch 1962 versammelte Bundeskanzler Adenauer (CDU) noch sämtliche faschistischen Vorstellungen, die noch in ihm waren, um für eine Beibehaltung des Paragrafen zu plädieren: Er sah darin „einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens (…),das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde“. Zusammenleben von Homosexuellen in eheähnlichen Verhältnissen würde andere Menschen belästigen!
Es ist den heute von Schwulen gern verachteten 68ern und der entstehenden Schwulenbewegung zu verdanken, dass der Kriminalisierung zunehmend aktiver Widerstand entgegengesetzt wurde. 1969 war der 175er unter Kanzler Kiesinger „entschärft“ worden: Homosexualität zwischen Männern über 21 wurde straffrei; 1973 wurde das „Schutzalter“ auf 18 gesenkt. Einer der maßgeblichen Verhinderer einer Abschaffung des Paragrafen war übrigens der sozialdemokratische Kanzler Helmut Schmidt mit seiner Äußerung, er sei „kein Kanzler der Schwulen“.
Die Zahl der Verurteilungen aufgrund des 175er ging faktisch zurück, zugleich wuchs seine symbolische Bedeutung als Zeichen nicht akzeptierter Homosexualität. Das Ende der DDR und eine anstehende Rechtsreform im Sinne einer „Rechtsangleichung“ bot den Politikern eine elegante Möglichkeit, den 175er ohne größere Debatte (und quasi im Schutz der aufgewühlten Zeiten der Vereinigung der deutschen Staaten) zu entsorgen.

Soweit ich weiß, hat sich bis heute kein führender Politiker und auch kein Jurist bei den Homosexuellen für die Jahrzehnte der Verfolgung nach der Nazi-Zeit entschuldigt.

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Ein Kommentar zu „10. März 1994: § 175 wird abgeschafft

  1. entschädigung für nazi-recht nach 45?
    das wäre dringend fällig – allein, wenn ich ich an die rede von neumann (bkm) anlässlich der einweihung des homo-mahnmals erinnere, das klang eher nach „jetzt muss aber schluss sein mit wiedergutmachung“ …
    dass auch das nazi-unrecht war, haben viele immer noch nicht verstanden …

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