Vom Schwulsein inmitten des täglichen Horrors – Douglas Stuarts Roman „Young Mungo“

Cover_YoungMungoIn seiner Drastik hat der Roman „Young Mungo“ viel von einem Horrorroman. Nicht von der Sorte, in der irgendwelche paranormalen Dinge geschehen und allerlei Unwesen ihren Spuk treiben. Viel eher ist es bei Douglas Stuart der Horror des alltäglichen, menschlichen Zusammenlebens, der einen das Fürchten lehrt: die „Normalität“ des Wechselbads aus Glück und Angst, die „Selbstverständlichkeit“, mit der Menschen, deren Sehnsüchte bereits zerstört wurden, die Sehnsüchte anderer zerstören. Also jener Horror, wenn sich der Einzelne von höchst realen, gesellschaftlich-politisch wie ökonomisch geschaffenen Zuständen (Dämonen?) wie Armut, Arbeitslosigkeit, Alkohol, Perspektivlosigkeit verfolgt sieht. Man kann lange Zeit scheinbar gut und unbehelligt leben, das schleichende Unwohlsein ignorieren, aber irgendwann trifft es einen doch. Die Leichen im Keller sind auch in „Young Mungo“ nicht nur metaphorisch gemeint, und wie in allen modernen Horrorgeschichten sollte man sich nicht allzu sehr auf den Schutz einst heiliger Dinge verlassen.

In solch ein Szenario platziert Pulitzerpreisträger Douglas Stuart den 15-jährigen Mungo und dessen Romanze mit dem nur unwesentlich älteren James. Wie schon in Stuarts Debütroman „Shuggie Bain“ ist ein ökonomisch abgehängter Arbeiterbezirk am Rande Glasgows der neunziger Jahre Ort der Handlung. Mungos Bruder Hamish ist Anführer einer protestantischen Straßengang und die Verkörperung toxischer Männlichkeit. Als er James und Mungo ertappt, ist die Homosexualität in ungefähr so schlimm wie die Tatsache, dass James Katholik ist. Die Mutter schickt Mungo zu einem Angelausflug mit zwei Männern, die ihm beibringen sollen, ein „echter“ Kerl zu werden. Dass dies nicht wirklich gut ausgeht, lässt sich von der ersten Seite des Romans an erahnen. Gegen Ende gibt es dann noch einen erstaunlichen Twist, ausgerechnet durch Hamish, und für die schwule Freundschaft einen zarten Hoffnungshauch, ohne allerdings auserzählt zu werden.

„Young Mungo“ ähnelt in vielem dem Erstling „Shuggie Bain“, ist aber konsequenter durcherzählt. Die Romanze und die Zärtlichkeit zwischen Mungo und James erhalten durchaus ihren Raum im Roman (auch konkret: neben der Wohnung von James in Abwesenheit von dessen Vater ist es bezeichnenderweise, wenn auch nicht ganz originell, ein Taubenschlag!). Es sind diese Buchseiten – oder sollte es heißen: Safer Spaces? –, in denen sich das lauernde Unheil menschlichen Zusammenlebens wenigstens für einige Zeit zurückdrängen und vergessen lässt.

„Mungo heißt auf Keltisch mein Lieber“, verrät der Roman; die Namensgebung verweist zudem auf den Heiligen Mungo (auch Kentigern), Schutzpatron nicht nur der Stadt Glasgow; eine Skulptur am Eingang des Kelvingrove Art Gallery and Museum in Glasgow zeigt ihn mit zwei Frauengestalten, die die Künste darstellen. Möglicherweise, so ließe sich vermuten, ist die Kunst das Medium, in dem ein besseres Leben erahnt werden kann, vielleicht aber auch: Der Horror der Realität lässt sich nur im Medium der Kunst, im Falle Douglas Stuarts: der Literatur, ertragen und handhabbar machen.

Buchinfo: Douglas Stuart: Young Mungo. Roman, aus dem Englischen von Sophie Zeitz, Hanser Verlag 2023, 416 Seiten, 26 €. ISBN 978-3-446-27582-9

2 Kommentare zu „Vom Schwulsein inmitten des täglichen Horrors – Douglas Stuarts Roman „Young Mungo“

  1. Hat dies auf Bernd Gaiser rebloggt und kommentierte:
    Bernadine Evaristo: „Nur wenige Romane sind so mutig und erschütternd wie diese Geschichte eines Jungen, der inmitten einer kaputten Familie und Bandenkämpfen seine Liebe findet“. Dem und Rainer Hörmanns großartigen Rezension des Romans ist nichts hinzuzufügen.

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