Das Blau des Kaftans erscheint in vielerlei Hinsicht zunächst wie ein sehr konventioneller Film – dies trotz oder vielleicht auch gerade wegen seiner „queeren“ Dreiecksbeziehung. Wobei das „queere“ ein wichtiger, aber vielleicht nicht der wichtigste Aspekt darin ist. Zunächst und eigentlich geht es um die Beziehung zwischen dem Schneider Halim und seiner Frau Mina (sinnlich und intensiv gespielt von Saleh Bakri und Lubna Azabal). Die Art der Beziehung geht möglicherweise weit über das hinaus, was durch sexuelle Kategorien erfasst werden kann. Die beiden betreiben seit vielen Jahren in der Medina (Altstadt) von Salé in Marokko einen traditionellen Laden für Kaftane. Hinzu tritt der Lehrling Youssuf (Ayoub Missioui). Der guckt seinen Meister mit großen Augen verträumt an, und so ist das eine Geheimnis des Films schnell offensichtlich: die Homosexualität von Halim und Youssuf.
Mina, die um das Schwulsein ihres Mannes weiß, reagiert trotzdem unwirsch, in einer gewissen Eifersucht auf den jungen Lehrling. Dann wird deutlich, dass Mina Krebs hat. Ihr Zustand verschlechtert sich. Youssuf, der davon nichts weiß, vermag zunächst nicht zu verstehen, warum ihn Halim zurückweist. Denn Halim steht seiner Frau in Zeiten der Not bei, wie sie ihm einst in Zeiten der Not beistand. In einer der schönsten (zu kurzen) Szenen des Films werden die drei zusammen in der Wohnung von Halim und Mina tanzen.
Das Blau des Kaftans nimmt sich viel Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Er ist ein Abgesang auf eine traditionelle Handwerkskunst (Halim näht mit der Hand, verweigert den Gebrauch einer Nähmaschine, die doch alles schneller machen würde); zugleich ist er auf merkwürdige Weise ein Abgesang auf angeblich klare, „traditionelle“ Beziehungsmuster. Wobei die neuen, die „queeren“, wie die von Halim, Mina und Youssuf, im Verborgenen gelebt werden (müssen). Was im Schlussbild des Filmes aufleuchtet, ist – so will es die Dramaturgie (Dramatik) – nur über den Umweg eines Verlustes zu haben.
Einmal wäscht Halim seiner kranken Frau die Haare. Eine ebenso sinnliche wie verdruckste Szene, die man aus Filmen wie Jenseits von Afrika oder Der englische Patient kennt. Und tatsächlich ähnelt Das Blau des Kaftans der Regisseurin Maryam Touzani jenen Filmen in seiner nostalgisch-verklärenden Art, lässt aber durchaus die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen eines Lebens im Königreich Marokko – Homosexualität ist illegal – aufblitzen. Später wird Halim zärtlich die Narbe der Brustoperation seiner Frau berühren, und hierin ist der Film dann doch weiter als seine Blockbuster-Vorgänger.
Ein Blockbuster wird Das Blau des Kaftans nicht werden. Dazu ist er zu ruhig, nimmt sich zu viel Zeit für seine Bildsprache, für Details wie das Nähen des goldenen Fadens auf dem blauen Tuch, eine Form der Zärtlichkeit, die auch die Protagonisten des Filmes zusammenhält. Das „Queere“ kommt nicht mit der Unwucht daher, wie es üblich geworden ist; stattdessen ist es gerade der im Film erzählte Alltag in der Enge der Altstadt, der einen spüren und beobachten lässt, wie die Menschen von Normen eingeengt werden und wie sie versuchen, ihre eigenen, kleinen Freiräume zu finden. Das Blau des Kaftans ist ein schöner, sehenswerter Film, der daran erinnert, dass Liebe ein Versprechen ist, das über den Tag hinausgeht. Oder, wie es Halim einmal sinngemäß zu Youssuf sagt, ein gut gemachter Kaftan muss seinen Träger, seine Trägerin überdauern.
Filmfotos © Arsenal Filmverleih