Es sind unruhige Zeiten. Russland zieht immer mehr Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen (von der Annexion der Krim redet eh schon niemand mehr), versucht Schweden und die baltischen Staaten einzuschüchtern (von Russlands Rolle beim Machterhalt der Despoten in Belarus und Syrien reden wir schon gar nicht mehr). Ein Land, dass über 1.500 einsetzbare nukleare Sprengköpfe verfügt, verlangt vom Verteidigungsbündnis Nato – deren Mitglied USA noch ein paar Atomwaffen mehr hat – Sicherheitsgarantien und den Verzicht auf eine Osterweiterung. Die nach außen gerichteten Drohgebärden Moskaus gehen einher mit einer völligen Ausschaltung von Opposition und Meinungsfreiheit innerhalb Russlands. Zuletzt, Ende Dezember, wurde die Bürgerrechtsorganisation Memorial aufgelöst. Ein weiterer Schlag gegen Menschenrechte – und damit auch gegen die Rechte von queeren Menschen in Russland.
Keine leichte Situation für die Diplomatie und speziell für die neue Außenministerin, die sich heute mit ihrem russischen Kollegen Sergei Lawrow in Moskau getroffen hat. Man muss froh sein, dass Annalena Baerbock den Job übernommen hat und nicht etwa Kevin Kühnert, der nach der Bundestagswahl zum Generalsekretär der SPD emporgeklettert ist. Denn anders als bei Baerbock und bei den Grünen sind Minderheitenrechte und Menschenrechte zumindest in Bezug auf Russland bei den Sozialdemokraten in keinen guten Händen.
In einem „Spiegel“-Beitrag zur deutschen Außenpolitik schreibt Mathieu von Rohr: „Es ist erschreckend, wie viel Realitätsverweigerung in Bezug auf Russland derzeit aus der Kanzlerpartei zu vernehmen ist.“ Weite Teile der SPD seien im Umgang mit Moskau „in einer Nostalgie gefangen, die man eigentlich eher von der Linkspartei kennt“. Damit meint er nicht zuletzt auch Kevin Kühnert.
Der ist, ganz wie sein Kanzler Olaf Scholz und wie Meck-Pomm-Chefin Manuela Schwesig, großer Befürworter der Nord Stream 2 Pipeline, mit der viel wärmendes Gas unter Umgehung des bisherigen Durchgangslands Ukraine nach Deutschland kommen soll und noch mehr wärmendes Geld nach Russland zurückfließen soll. Geld, mit dem Putin auch seinen innenpolitischen Feldzug gegen demokratische Kräfte, gegen Menschenrechtsaktivisten und auch gegen LGBTQ* führen kann. Man solle das Gas-Projekt und die Ukraine-Politik Russlands nicht vermengen. Ganz im Stile eines Gerhard Schröders, dem wir den Pipeline-Deal „zu verdanken“ haben, will Kühnert patriarchal von oben herab mit einer „Basta!“-Geste das Problem für beendet erklären. Die Situation von LGBTQ in Russland? Wahrscheinlich ein für ihn hinnehmbarer Kollateralschaden, ein kleiner Fleck auf dem ansonsten lupenreinen Wirtschaftsdeal. Wie er sehen es übrigens eine Mehrheit der Deutschen – 67 Prozent sind für eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Und der Berliner „Tagesspiegel“, der doch einen so rühmlichen „Queerspiegel“ unterhält, lobt Kühnerts Pragmatismus. Ein Zugeständnis an Präsident Wladimir Putin sei das keineswegs, Menschenrechtsverletzungen unter Putin oder russische Verletzungen der territorialen Integrität der Ukraine würden ja trotzdem angeprangert.
Etwas anders und glücklicherweise nicht so naiv sieht es Michael Roth – wie Kühnert schwul und nun Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Roth sieht sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem Pipeline-Projekt und der Ukraine-Krise. Und weitaus klarer als Kühnert bezieht er Position zu dem, was denn die „Bedrohung“ für Russland ist: „Die eigentlich Gefahr für Russland geht ja nicht von Waffen aus, sondern sie geht von dem Signal der Demokratie und der Freiheit aus, und da können wir keine Abstriche machen.“
Das klingt schon mehr nach dem an Menschenrechten ausgerichteten Geist, der auch die (bisherige und noch junge) Außenpolitik der Grünen Annalena Baerbock, zumindest nach ihren bisherigen Aussagen, prägen soll. Die Universalität von Rechten von Minderheiten und damit auch der Schutz von LGBTQ* weltweit scheinen bei ihr jedenfalls besser aufgehoben als beim General Kühnert. / ©RH
Wenn ich mir anschaue, dass unser neuer Kanzler als einziger führender Politiker der Welt das herausragend wichtuge geostrategische Projekt Nordstream 2 als Geschäft privater Firmen herunterinterpretiert, dann frage ich mich, an welcher Garderobe dieser Mann und seine Partei ihren Verstand abgegeben haben.