Zum Jahresauftakt gab es im Netz die üblichen fröhlichen Instant-Pop-Up-Homosexualitäten, aber ansonsten? Also so „echt“? In „echt“ haben ausgerechnet jene Parteien, die von uns derzeit für ihre queerpolitischen Vorhaben gelobt werden, den realen Projekten den Geldhahn zugedreht.
In Thüringen befürchten LGBTIQ*-Organisationen, dass ihrer Arbeit 200.000 Euro gekürzt werden sollen, in Sachsen schickt man ein queere Schul- und Bildungsprojekt ins Aus. Bezeichnenderweise hieß das Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“, scheinbar ein Widerspruch in sich. Besonders irritiert, dass ausgerechnet die Sozialministerin Petra Köpping (SPD), die ja selbst zuletzt von Corona-Gegnern vor ihrem Wohnhaus mit einem Fackelaufmarsch eingeschüchtert werden sollte, queeren Menschen nicht einmal einen Schutz durch Aufklärung gewähren will. Während also die SPD-geführte Ampelkoalition im Bund hehre Ziele eines nationalen Aktionsplanes gegen Queerfeindlichkeit hat, wird auf Landesebene ausgedünnt, was Prävention gegen eben jene Feindlichkeit bedeuten könnte.
Mit diesen Widersprüchlichkeiten im Hinterkopf sollte man auch die erstmalige Ernennung eines Queer-Beauftragten betrachten. Sven Lehmann, dessen politische Aussagen auch nur eine begrenzte Halbwertszeit haben – wie etwa seine Wahlkampf-Aussagen zur Erhöhung von Hartz IV –, wird zeigen müssen, ob er mehr sein wird als ein Posterboy, dessen Aufgabe darin besteht zu beruhigen, wenn Versprochenes nicht oder nur langsam umgesetzt wird.
Es bleibt abzuwarten, wie sich das Leben unter der Glocke einer betreuten Homosexualität durch SPD, Grüne und FDP gestaltet. Also jenes Leben, das aufgrund des C-Virus, dessen Namen wir nicht mehr hören wollen, sowieso stark eingeschränkt oder erschwert ist. Auch hier täuschen fröhliche Stammtisch-Selfies in den diversen Selbstvermarktungsmedien möglicherweise ein wenig über die wirkliche Lage hinweg. Erinnert sich jemand noch an Aufrufe, queere Infrastruktur müsse vor den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie geschützt werden? Einige Leuchtturm-Institutionen durften sich über Unterstützung freuen, während die eine oder andere kleine Kneipe oder schwule Sauna vor Ort sang- und klanglos verschwinden wird. Wie auch viele Schwule sich nach zwei Jahren Pandemie still von so etwas wie Szene und „echter“ Community verabschiedet haben werden.
2022 könnte durch ein seltsames Paradox gekennzeichnet sein: Während Queerpolitik ganz oben in der Regierung angekommen ist, zerbröckelt queeres Leben an der Basis. / ©RH
Dass „queeres Leben an der Basis zerbröckelt“ ist ja nun wahrlich keine Folge der Pandemiekrise, sondern seit Jahrzehnten zu beobachten und geht nicht auf irgendwelche Krankheiten, sondern auf die gesellschaftliche, insbesondere queergesellschaftliche Entwicklung zurück, eine eigene Szene/Community oder wie immer man das nennen will, nicht mehr zu wollen und zu nutzen. Ich halte diese Entwicklung für bedauerlich und auch schädlich, aber so ist es und das sollten wir nicht auf außerhalb der schwul-lesbischen „Gemeinde“ liegende Ursachen schieben.
Stimme dir zu, es ist keine durch Corona allein bewirkte Entwicklung. Sie wird halt (auch) hinsichtlich aktueller Lagen (abermals) deutlich.