Hauptsache nicht unmännlich! Was der Harvard-Professor mit dem Fußballer gemeinsam hat

Der Historiker und Harvard-Professor Niall Ferguson hat sich für seine homophoben Ausfällen gegen den Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes entschuldigt. Während einer Konferenz in Kalifornien hatte der 49-jährige Vater von vier Kindern (drei aus erster Ehe mit einer Frau, eins aus zweiter Ehe mit einer Frau) in dieser Woche auf eine Frage zu Keynes Zitat von 1923 „Auf lange Sicht sind wir alle tot“ reagiert. Keynes Sicht auf die Zukunft sei in dessen Schwulsein und in der Tatsache, dass dieser keine Kinder gehabt habe, begründet. Er soll Keynes als ein „verweichlichtes“ Mitglied unserer Gesellschaft bezeichnet haben, das lieber mit seiner Frau Gedichte lese als sich fortzupflanzen.
Fergusons Ausfälle sind die elaborierte Langfassung dessen, was andere in das kurze Wort „Schwuchtel“ hineinpacken.

Sie sind deswegen nicht weniger widerlich. Sie bedienen das Stereotyp vom verantwortungslosen, weibischen Schwulen (wobei „weiblich“ dabei als minderwertig angesehen wird). Und sie unterstellen auf perfide Weise, dass Schwule sich in ihrer Arbeit von ihrer Sexualität beeinflussen lassen, und stellt dem – unausgesprochen – die Mär vom vernunftgesteuerten, objektiven Hetero-Mann gegenüber, der seine Sexualität von sich abzuspalten weiß, um sich so, unbefleckt von biografischen Momenten, allein der Sache zu widmen.
Im Falle von John Maynards Keynes sind Fergusons Ausfälle auch noch menschlich geschmacklos, denn Keynes war mit der Balletttänzerin Lydia Lopokova verheiratet. Und sie hatte – Ferguson sagt in seiner Entschuldigung, er habe dies vergessen – eine Fehlgeburt.
Nun darf aber generell bezweifelt werden, ob das Zeugen von Kindern der einzige Beitrag ist, den ein Mensch zur Existenz der Menschheit beitragen kann. Was das Keynes-Zitat angeht, so fällt es im Zusammenhang von Keynes Kritik an den (unzureichenden) Beschwichtigungen seiner Ökonomenzunft, dass sich jede wirtschaftliche Krise schon irgendwann wieder lege und dann alles wieder seinen ruhigen Gang geht. Er zeichnet die negative Konsequenz. Dem stellt sich Ferguson 90 Jahre später mit der These entgegen, dass „auf lange Sicht“ Kinder, Enkel überleben werden und sich mit den Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen auseinandersetzen würden. Dieser doch recht banale „Streit“ führt Ferguson zu seinen homophoben Ausfällen? In seiner Entschuldigung schreibt er denn auch, dass selbstverständlich auch Menschen ohne Kinder sich um die Belange künftiger Generationen kümmerten.
Niall Ferguson ist ein Kritiker der auch heute noch viel rezipierten und maßgeblichen ökonomischen Theorie Keynes. Seine Kritik habe aber nichts mit Keynes Homosexualität zu tun, versichert Ferguson nun. Es sei falsch zu unterstellen, Keynes Theorien seien durch Aspekte seines persönlichen Lebens beeinflusst gewesen. Drehte man diese Argumentation um, wäre sie vielleicht hilfreicher: Es gibt in der Welt wissenschaftlicher Theorie schlichtweg nichts, was nicht auch durch die Persönlichkeit des Verfassers (und die Sexualität ist nur ein Aspekt unter sehr sehr vielen) beeinflusst wäre. Nur gilt das eben für alle Theorie und für alle von Menschen geschaffenen Werke. Entscheidend ist, ob der historische Rückblick auf persönliche Momente das Werk erhellt oder im Rahmen einer kritischen Argumentation Relevanz erhält.
Fergusons Griff in die unterste Schublade traditierten Schwulenhasses, Keynes sei kein richtiger Mann, dürfte diesbezüglich aber wenig erhellend und noch weniger zielführend sein.
Niall Ferguson hat sich aufrichtig entschuldigt, seine Äußerungen als „dumm“ bezeichnet. Sein „Aussetzer“ fällt zusammen mit der Meldung von Anfang der Woche, dass der Spieler Mohamadou Idrissou vom FC Kaiserslautern gegen den Schiedsrichter schwulenfeindlich gepöbelt hatte. Auch der Fußballspieler hat es nicht so gemeint, sich entschuldigt und sogleich mit dem schwul-lesbischen Fanclub des Vereins getroffen.
Was aber ist es, das sowohl einen britischen Harvard-Professor als auch einen aus Kamerun stammenden Fußballspieler dazu bringt, in aufgeregten Momenten sich schwulenfeindlich „auszutoben“ – mal eloquent unwissenschaftlich, mal ungelenk unsportlich? Wie tief müssen in beiden schwulenfeindliche Stereotype verankert sein, dass sie derart leicht und quasi „selbstverständlich“ abgerufen werden? Und wie kommt es, dass beide in ihren Entschuldigungen auf ihre schwulen Freunde verweisen? Scheinbar haben manche heterosexuellen Männer kein Problem mehr mit homosexuellen Männern, aber umso mehr mit ihrem eigenen, unreflektierten Bild von Männlichkeit, dass nach wie vor mit Abgrenzung gegen das als schwach verachtete Unmännliche (das Weibliche) stabilisiert werden muss.

© Rainer Hörmann / 2013


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