Folsom als Festival der Fotografie

Das Folsom Straßenfest, das öffentliche Fetisch-Treffen in Berlin, lockt die Begehrlichkeiten – die Hunderter von Fetisch-Männern, einer Handvoll Fetisch-Frauen und vor allem die der Fotojäger. In Scharen durchpflügen die vereinsamt dahinhuschenden Männer mit ihrer Schusswaffe im Anschlag das Dickicht stolzer Mannespracht und durchkämmen das Unterholz der sich hingebenden Sklaven und Doggies. Ob mit der kleinen Handykamera oder der prallen Markenkamera mit Zoomobjektiv von obszöner Länge: Jeder Schuss ist ein Treffer, wenn auch mal ein verwackelter. Die Beute ist reichlich – zurück bleibt das erlegte Geheimnis der Sexualität und ein ausgeplündertes Folsom Straßenfest.

Die Rede ist nicht von den Besuchern, die sich selbst und ihre Freunde zum Andenken fotografieren; auch nicht von der kleinen grauhaarigen Frau, die zufällig in das Getümmel geraten ist und das erste Mal Menschen auf allen Vieren sieht. Entzückt nötigt sie ihren unangenehm berührten Hetero-Freund im verwaschenen Wolfs-T-Shirt, ein Foto von ihr zu machen, wie sie vorsichtig dem braven Doggy den Kopf tätschelt.
Die Rede ist von jenem Typus des verdruckst, halb aufgegeilt daherschleichenden Fotografen, der – ganz unserer heutigen Zeit entsprechend – längst unfähig zur aktiven Teilnahme geworden ist, der nur noch zu konsumieren vermag, der zwischen sich und die eigene Erregung die Kamera schieben muss. Schweigend, mit verkniffenem Mund wird der Schussapparat gezückt und abgedrückt. Notfalls werden Objekte auch mit rüden Gesten in Posen geschoben und arrangiert – und die Mehrheit der eitlen Pfauen folgt bereitwillig den Weisungen zum finalen Schuss. Mehr als ihre Eitelkeit treibt sie der Glaube, dass nur existiert, wer sich zu präsentieren vermag. Sie teilen die Verwertungslogik des Fotografen und glauben, individuell eine Bedeutung zu gewinnen, während sie doch in Wahrheit im viralen-medialen Durchlauferhitzer gnadenlos verbrannt wird.
Hinweise und Gesten, dass man nicht fotografiert werden möchte, erregen den Unmut der Fotojäger. Sie wollen keinen Widerspruch, jene feigen Existenzen, deren übelste Exemplare eine Maske tragen, während sie es selbstverständlich finden, andere öffentlich und unentgeltlich auf ihren kommerziellen Seiten anpreisen und bloßstellen zu dürfen. Ganz selten gibt es mal einen Hobby-Schützen, der seiner Beute wenigstens ein wenig Respekt entgegenbringt und auch mal eine Begründung für sein Tun gibt. „Hallo, ich finde, du siehst toll aus – darf ich ein Foto von dir machen?“, wäre eine sprachliche Annäherung, die einer gewissen sozialen Menschlichkeit entspricht. Man hört so etwas selten von den autistischen Fotografen, für die die Welt und die Menschen nur Material sind, das abgelichtet wird und mit Photoshop bearbeitet im Dateiordner „Folsom2012“ verenden darf.
Medial gesehen gilt für die Marke Folsom, was sich auch für jeden CSD sagen lässt: Alle „Events“ gleichen sich exakt. Die Aufnahmen von Folsom in San Francisco sind wie die in New York sind wie die in Berlin – man weiß nie, ob es sich um Bilder von 2008 oder 2012 handelt. Überall schieben sich dieselben Doggies an denselben Leinen derselben Meister über den Boden, dieselben Skin-Prolls klammern sich an derselben Bierflasche fest – nicht ganz: je nach Sponsor kann sich hier die Biermarke schon mal unterscheiden! Tonnen von Bildern fluten das Internet und ergötzen 4 Wochen 7 Tage lang als Bildschirmschoner das Auge des alleine davorhockenden Betrachters.
Millionenfach vervielfältigt zirkuliert die optische Botschaft vom Folsom Straßenfest um die Welt (zumindest die westliche), stachelt an, weckt neue Begehrlichkeit, führt zum „Erfolg“ des Events – und zu noch mehr Fotos und noch mehr verwackelten 90-Sekunden-Videos von Männern in Leder und Körpern im aufgeblasenen Gummiballon.
Was aber – werbetechnisch – gut für den Kommerz und den Konsum sein mag, muss nicht unbedingt gut für die Menschen sein. Im Falle von Folsom waren das eigentlich mal Fetischisten, Lederleute, Uniformliebhaber, Leute, die auf SM, Bondage stehen und in ganz seltenen Fällen Menschen mit exzentrischen Fantasien. (Noch immer umgibt ein letzter Hauch von „Tabu“ diese – nur in einem phänomenologischen Sinne – Gemeinschaft, was am jüngsten Erfolg eines literarischen SM-Billigbuches zu sehen ist.) Es gehörte zu den großen Errungenschaften einer selbstbewussten Fetisch-Szene, die Sexualität zu feiern, sich ihren angeblich extremeren Seiten hinzugeben – im Wissen, dass Einvernehmlichkeit und Verantwortung die unabdingbare Voraussetzungen für die Dispensierung eben dieser Einvernehmlichkeit (nicht der Verantwortung!!) ist. Fetisch und SM gelten ihren Anhängern als sinnlicher wie sexueller Genuss. Vielleicht war es falsch, im Betteln um Aufmerksamkeit und Anerkennung die kleinen intimen Nischen zu verlassen? Eine müßige Frage, denn seit Jahren steht man verstärkt im Licht der Öffentlichkeit – und verliert die geheimnisvolle Aura. Das allein müsste kein Nachteil sein. Von Nachteil ist aber, wenn nach dem Verlust der Aura der Ausverkauf folgt, das Herabstufen auf Ramschniveau mit bunter Oberfläche.
Die Fotojäger, die sich auf das Folsom Straßenfest stürzen, nivellieren sich selbst wie diejenigen, die sie fotografieren, und die „reale“ Begegnung zur billigen Massenware, zur Facebook-Onanier-Gruppe, zum Wichs-Chat einer der diversen Internet-Portale, zur Tumblr-Erregung in Daumennagelgröße. Klick, Klick, Klick – erst werden die Bilder und dann die Menschen selbst verbraucht. Im Typus des von mir beschriebenen Fotojägers manifestiert sich jene Gefühlskälte und asoziale Brutalität, die sonst SM- und Fetisch-Beziehungen – in Verkennung der wirklichen Umstände!!! – gern unterstellt wird.
Folsom als Festival der Fotografie ist billiger Konsum auf Kosten anderer und kein Genuss, es ist der Verlust des Respekts vor dem Geheimnis der Sexualität und die Verachtung von Menschen, die für eine selbstbewusste Sexualität stehen. Als Festival der Fotografie ist Folsom nicht länger die Feier einer vitalen, aktiven Fetisch-Welt, sondern ihr Begräbnis.

© Rainer Hörmann / September 2012


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